Mit dieser Website möchten wir einerseits die Anthroposophische Meditation bekannter machen und andererseits die Vielfalt der verschiedenen Ansätze aufzeigen.
Wir führen Interviews mit verschiedenen Meditationslehrern und stellen diese in einen kommentierenden und erläuternden Zusammenhang, in dem auch die Hintergründe und praktischen Anwendungsmöglichkeiten der Anthroposophischen Meditation dargestellt werden.

Robin Schmidt
Edda Nehmiz
Bodo v. Plato

Freiraum - Meditation - Begegnung

Interview mit Robin Schmidt, Bodo von Plato und Edda Nehmiz

Freiraum – Meditation – Begegnung
geführt am 10. Juni 2017, am Goetheanum in Dornach, Schweiz
Sebastian Knust: Ich begrüße Euch herzlich zum Interview! Bitte stellt Euch doch zunächst kurz vor.

Bodo von Plato: Ich bin von der Ausbildung her Historiker und Philosoph. Nach meinem Studium war ich fünf Jahre lang Waldorflehrer.  Anschließend verbrachte ich zwölf Jahre mit Forschungstätigkeit in einem kulturwissenschaftlichen Institut in Heidelberg, dem Hardenberg-Institut und wurde 2001 in den Vorstand hier am „Goetheanum“ berufen. Hier bin ich zuständig für die „Allgemeine Anthroposophische Sektion“, die frankophonen und deutschsprachigen Länder und für alles, was mit Anthroposophie-Studium und Weiterbildung zu tun hat.

Edda Nehmiz: Ich bin hier im Haus [Goetheanum in Dornach] verantwortlich für die administrative Seite des Bereichs Studium und Weiterbildung und mit meinen Kollegen zusammen für die Konzepte der Kurse. Ich bin eigentlich Tischlerin und habe eine Waldorflehrerausbildung gemacht und bin Waldorflehrerin geworden. Ich habe auch für ein paar Jahre mit alten Menschen gearbeitet und bin jetzt hier in der Verantwortung für den genannten Bereich.

Robin Schmidt: Ich habe Kulturgeschichte und Philosophie studiert, später dann noch Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung.  Meine kulturwissenschaftlichen Interessen habe ich weiter verfolgt in der Arbeit in der Forschungsstelle „Kulturimpuls“, wo wir uns mit dem Verhältnis von Anthroposophie, Gegenwart und Geschichte beschäftigen.  Im Moment  verfolge ich einen Forschungsschwerpunkt zum digitalen Wandel im Verhältnis zum „Menschsein“. Andererseits bin ich wissenschaftlicher Mitarbeiter an der pädagogischen Hochschule Basel mit einem Forschungsprojekt zum digitalen Wandel im Verhältnis zur Zukunft der Schule.

Sebastian Knust:  Was waren die Motive, Euch mit der Anthroposophie auseinanderzusetzen, „Anthroposoph“ zu werden? Und welches Verhältnis habt Ihr zur anthroposophischen Meditation?

Bodo von Plato: Ich bin in einem evangelisch-lutherischen Umfeld aufgewachsen, in dem Religion eine wichtige Rolle spielte in einer sehr sachlichen und nachvollziehbaren Weise und doch auch sehr ernst. Eine Verbindung zu dem, was über uns hinausgeht, war mir eigentlich von Kind an vertraut und wurde auch artikuliert, es wurde gelebt und damit umgegangen.

Mein Glück lag darin, dass es in einer Weise geschah, die menschlich gedeckt und dem Zweifel nicht verschlossen war und der setzte dann sehr bald ein, wurde auch sehr heftig und führte dazu, dass ich aus der Kirche austrat. Ich hatte ein politisches Elternhaus, einer meiner Brüder war nach der Studentenrevolution 1968 Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands / Marxisten-Leninisten.

Trotz meiner Zweifel blieb eine Sehnsucht nach einem realen, reflektierten und erfahrungsorientierten Zugang zur geistigen Dimension des Daseins. Ich glaube, damit waren die Voraussetzungen gegeben früher oder später auf Anthroposophie zu stoßen. Das fand einerseits durch meinen Zivildienst mit Behinderten statt. Ich rutschte, ohne zu wissen was das ist, in eine anthroposophische, heilpädagogische, sozialtherapeutische Einrichtung. Ich war tief berührt von der Menschlichkeit und Sachdienlichkeit, wie mit den behinderten Menschen umgegangen wurde. Und andererseits durch eine Liebe. Eine Freundin nötigte mich, muss ich schon sagen, Steiner zu lesen, die „Theosophie“. Das schmeckte mir zunächst nicht so, es braucht alles seine Zeit. Das waren meine Zugänge.

Erst war es ein wirkliches Studienverhältnis, ich habe sehr gerne Anthroposophie studiert, auch mit meinen philosophischen, existentiellen Fragestellungen. Und dann kam, wie unbemerkt, die Seite der Übung: Ein merkwürdiger Vorspann in Rudolf Steiners „Geheimwissenschaft im Umriss“ und das Kapitel über den inneren, geistigen Entwicklungsweg, sowie „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“, Rudolf Steiners großes Übungsbuch, mir sehr fremd im Stil, sehr vertraut in den Inhalten. Diese Begegnung fand statt, als ich noch in der Schule war oder kurz nach der Schule in der Zeit meiner großen Jugendliebe. Da war ich achtzehn Jahre alt.

Ein weiteres Ereignis geschah viel später, da war ich gerade frisch am Goetheanum. Es war zum 100-jährigen Bestehen des Buches „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ im Jahr 2004. Mir wurde klar: dieses Jubiläum wird gefeiert werden müssen. Ich hatte in dieser Zeit eine sehr intensive Auseinandersetzung mit diesem Buch begonnen und bewusst weitergeführt. Das war der Einstieg in eine verbindliche, nachhaltige, kontinuierliche innere Praxis. Siw kam in einen gesellschaftlichen Kontext durch Arthur Zajonc aus den USA, mit dem ich eine freundschaftliche Verbindung schon seit vielen Jahren pflegte, aber jetzt wurde sie konkret an dem inneren Übungsweg, an der meditativen Praxis. Die Zusammenarbeit mit diesem Freund – und noch sehr vielen anderen, eben auch Robin Schmidt – hat dann zu der Begründung der „Goetheanum Meditation Initiative Worldwide“ geführt. Ab da begann eine Zeit der Kooperation in diesem Feld des Meditativen und es wurde einer der Schwerpunkte, die ich mit einer gewissen inneren Fragilität, aber auch Dringlichkeit verfolge.

Bodo von Plato: „Trotz meiner Zweifel blieb eine Sehnsucht nach einem realen, reflektierten und erfahrungsorientierten Zugang zur geistigen Dimension des Daseins. Ich glaube, damit waren die Voraussetzungen gegeben früher oder später auf Anthroposophie zu stoßen.“

Edda Nehmiz: Mein Weg führte ganz über die Praxis. Vom Elternhaus her hatte ich mit Anthroposophie nichts zu tun. Ich habe sie mit Mitte 20 kennengelernt, dadurch, dass ich in einem Haushalt auf die Kinder aufgepasst habe, die von einer alleinziehenden Mutter großgezogen wurden. Sie nannte sich „Anthroposophin“ und hat ihre Kinder mit bestimmten Elementen erzogen, die mir sehr fremd waren, aber die ich einfach als sinnvoll erleben konnte. Es ist für die Kinder tatsächlich ein Gewinn, wenn sie so erzogen werden. Das war die erste Begegnung.

Dann hat mich das Leben, als ich mein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht hatte, zum Englisch-Lernen nach Wales gebracht. Auf einer biodynamischen Farm habe ich dort zwei Sommer lang mitgearbeitet. Ich habe nicht danach gesucht, es war einfach so. Da habe ich wieder ganz im Praktischen erfahren, wie das ist, wenn man Präparate aufs Feld bringt, wie die Kühe anders sind, die Atmosphäre anders ist, wie man wirklich wie anfassen kann, dass da etwas anders ist.

Dann war wieder so eine Entscheidung in meinem Leben, bei der ich mich fragen musste, was ich eigentlich machen möchte. Ich habe mich für die Waldorfpädagogik entschieden. Und während dieser Ausbildung hat sich mir eigentlich ganz viel von dem erklärt, wonach ich die ganze Zeit schon gesucht hatte. Auf diesem Weg bin ich auch hier ans Goetheanum gekommen und konnte hier ein Jahr Anthroposophie studieren, weil mir klar war: wenn ich verstehen möchte, was der Mensch in seiner schulischen Entwicklung braucht, dann muss ich wirklich verstehen, was der Mensch ist, und nicht nur die Methode kennen. Da fing für mich diese Reise an, dass ich die Dinge, die ich bisher eigentlich getrennt gehalten hatte, das innere Erleben der Welt und die äußeren Fragen, nun immer besser verbinden konnte.

So sehe ich mich auch in den Kursen, die wir hier veranstalten, als der Mensch, der den „Vorhof“ zu bereiten versucht. Ich möchte nicht unbedingt den Beitrag leisten, dass man da in etwas hineinkommt, sondern dass man in dem Vorhof sich wie aufhalten und fragen kann: Warum will ich denn überhaupt in etwas eintreten? Was ist meine wirkliche Motivation und bin ich mit ihr in einem ehrlichen Austausch?

Robin Schmidt: Mein Zugang zur Geisteswissenschaft Steiners ist auf zwei verschiedenen Strängen zustande gekommen. Der eine ist, dass ich als Schüler, die Überzeugung hatte aufgrund meines Interesses am Denken und am Philosophieren: Über dasjenige, worüber man nicht reden kann, muss man schweigen, so im Sinne des Philosophen Wittgenstein. Es war mir deutlich, dass es eine ganz deutliche Trennung gibt von dem Artikulierbaren und dem Denkbaren und dass das auch unbedingt getrennt ist. Auf der anderen Seite begann ich als Oberstufenschüler einer Waldorfschule eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Pädagogik. Aufgrund von Erlebnissen an Falschheiten in dieser Schule kam ich in eine Auseinandersetzung damit. Ich begann, Steiners Ansätze zu studieren, zunächst seine Philosophie, die mich sehr beeindruckt hat.

Ich hatte immer die Frage: kann ich das, was ich denke, in einem Gespräch auch artikulieren, so dass der, der mir zuhört, vermittelt über die Sprache, wirklich auch verstehen kann, was ich denke. Früher kam ich eigentlich immer zu der Antwort: Nein. Dann wurde die Anthroposophie für mich eine Sprache, eine Gedankensprache, die diesen Zusammenhang sucht, diesen Zusammenhang des Sagbaren, der Welt des Wortes und des Gesprächs mit der Welt des Denkbaren, der Ideen und des Geistes. Diese Auseinandersetzung und auch diese Frage haben mich sehr früh, auch durch Existenzfragen bedingt, in eine meditative Arbeit geführt. Dieses Bedürfnis wächst stetig, diese Frage, diese Auseinandersetzung, nämlich einen Bezug zu einem anderen Selbst zu suchen, wo die Frage gestellt ist: Entsteht ein Wirklichkeitszusammenhang?

Robin Schmidt: „Ich hatte immer die Frage: kann ich das, was ich denke, in einem Gespräch auch artikulieren, so dass der, der mir zuhört, vermittelt über die Sprache, wirklich auch verstehen kann, was ich denke?“

Arbeits- und Forschungsfelder

Sebastian Knust: Welche Fragen haben Euch weitergeleitet, gerade im Hinblick auch auf die meditative Arbeit? In welche Richtung seid Ihr gegangen? Du, Bodo, hast ja schon angesprochen, dass es Dir sehr stark um die Beschäftigung mit dem Buch „Wie erlangt man Erkenntnis höherer Welten“ von Rudolf Steiner ging. Bei Dir, Robin, habe ich das Thema Wirklichkeit und Begegnung am Schluss herausgehört. Wie ging es denn da weiter, welche vertiefenden Themen schlossen sich an?

Bodo von Plato: Ich glaube, du hast Recht, die Frage nach der Wirklichkeit verbindet uns, alle drei und auch die, die mit uns zusammenarbeiten. Dass die Wirklichkeit der Co-Konstitution, der Mitbegründung meiner selbst bedarf, wird eigentlich recht bald klar. Es ist tatsächlich ein Akt, die Wirklichkeit zu realisieren – in doppelter Hinsicht: Zum einen, indem ich sie bemerke als eine in sich existierende wahrnehme, zum anderen, indem ich sie realisiere, indem ich sie sozusagen tue. Das heißt, mein „Mich-mit-ihr-in-Verbindung-bringen“ prägt sie. Und so ist es auch ganz natürlich, dass es unterschiedliche Dimensionen dieser Wirklichkeit gibt, die mir, je nach Bewusstseinszustand, mehr oder weniger zugänglich werden. Mit Bewusstseinszustand meine ich nicht nur kognitiv, sondern das gesamte Bewusstsein: das Fühlen, Tätig-Sein, Denken, Reflektieren, Sprechen, usw.. Damit hängt auch ganz eng der Schicksalsgedanke zusammen, das Staunen darüber, dass bestimmte Menschen zusammenkommen. Für mich als historisch interessierter Mensch war es immer eine ganz im Vordergrund stehende Frage: wieso kommen bestimmte Menschen zusammen und andere nicht? Wieso verhindern bestimmte Konstellationen Erfindungen oder Entwicklungen und andere bringen sie geradezu hervor? Es ist unglaublich, welchen Einfluss die verschiedenen Konstellationen des Zwischenmenschlichen auf den Gang der Geschichte haben.

Für mich besteht eine Verbindung zwischen dem gesellschaftlichen oder sozialpolitischen Engagement, das mir eingeschrieben ist, und dem eminent spirituellen Engagement und Interesse. In der Idee des Schicksals kommen sie zusammen. Ich verfolge zum Beispiel die spirituelle Formatierung von Menschen und Gruppen und ihre gesellschaftliche Relevanz oder auch Isolation. Ein Beispiel ist die Anthroposophische Bewegung, die doch ein relativ isoliertes Dasein pflegt – weniger in den sogenannten Berufs- oder Lebensgebieten, in der Wirtschaft oder in der Pädagogik – aber in jedem Fall als wissenschaftliche, spirituelle und individualmenschliche Methodologie. Da ist sie nach wie vor isoliert und wird suspekt betrachtet.

Bodo von Plato: „Für mich besteht eine Verbindung zwischen dem gesellschaftlichen oder sozialpolitischen Engagement, das mir eingeschrieben ist, und dem eminent spirituellen Engagement und Interesse. In der Idee des Schicksals kommen sie zusammen.“

Robin Schmidt: Wenn ich zusammenfassen soll, dann sind es zwei Themengebiete, die mich beschäftigt haben: Gibt es eine Wissenschaft in der Du-Perspektive, also nicht unter der Perspektive des Es, bzw. der Dringlichkeit der Welt oder des Ich, der Subjektivität, wie sie die Psychologie letztendlich bewegt, sondern eine Wissenschaft unter der Perspektive eines gegenwärtigen Du, eines anderen Wesens, eines anderen Menschen, eines anderen Vorgangs, dass ich als Du erfassen möchte in seiner Würde. Und umgekehrt betrachtet: das Du-Sein selbst als eine forschungsmethodische Haltung.

Und gibt es eine Möglichkeit des Gesprächs, des gemeinsamen Philosophierens, des gemeinsamen Denkens, wo der Unterschied von ich als ich und du als du überschritten wird im Verhältnis zu einer Fragestellung, zu einer Idee, wo sozusagen etwas konstituiert wird, was dann das Leben durchdringt. Die Erfahrung, dass das möglich ist, habe ich früh gemacht, noch als Schüler, und die hat mich nicht verlassen. Wie lässt sich ein solcher Raum eines Gesprächs, eines Dialogs gestalten, wo diese Überschreitung stattfinden kann – des Verschieden-Seins, des Andersseins im Verhältnis zu etwas, worin man sich bewegt als Wirklichkeit?

Diese Frage und diese Erfahrung durften sich immer wieder berühren. Das, würde ich sagen, sind für mich die anthroposophischen Monumente meiner Biografie, wo diese Frage und Erfahrung sich berühren. Und erstaunlicherweise gibt es Menschen und Institutionen, die dafür einen Sinn haben.

Robin Schmidt: „Gibt es eine Wissenschaft in der Du-Perspektive, also nicht unter der Perspektive des Es oder des Ich, der Subjektivität, wie sie die Psychologie letztendlich bewegt, sondern eine Wissenschaft unter der Perspektive eines gegenwärtigen Du, eines anderen Wesens, eines anderen Menschen, eines anderen Vorgangs, dass ich als Du erfassen möchte in seiner Würde.“
Sebastian Knust: Gibt es einen Weg, um zu dieser Wirklichkeit zu finden, zur Begegnung zu finden, ganz allgemein zum Du zu finden? Ich konnte ja dieses Wochenende an einer Einheit eines berufsbegleitenden Einführungskurses in die Anthroposophie teilnehmen, bei dem es gerade um die Wirklichkeitsfrage in verschiedenen Stufen oder Dimensionen ging. Könntet Ihr das noch einmal rekapitulieren?

Robin Schmidt: Anknüpfend an die Frage nach der Wirklichkeit ist es für mich persönlich ein Schreck, wie das, glaube ich, für die Menschheit ein Schreck war und immer noch ist, zu entdecken, dass wir Menschen für die Welt verantwortlich geworden sind und nicht umgekehrt die Welt so ist, dass sie die Menschen aufnimmt und man darin sein kann, sondern dass der Mensch mit seiner Kraft des Denkens und der daraus hervorgehenden Technik begonnen hat, die Wirklichkeit der Welt zu bestimmen. Oder dass der Mensch der Welt sogar die Seins-Weise aufdrängt. Und die Welt ist bereit, das von Menschen entgegenzunehmen: die Gestalt, in der er die Welt denkt oder versteht. Und dieser Schreck, der ist für mich persönlich ein maßgeblicher Ausgangspunkt für die Suche, ein meditatives Verhältnis zur Welt zu gewinnen, wo weder ich der Welt aufdrücke, wie ich sie verstehe, noch die Welt Herrschaft über mich ausübt.

Das ist ein Ringen. Ich verstehe Meditation auch als den Schauplatz dieses Ringens, dieses Kampfes, muss ich sagen, aber auch mitunter der seligsten inspirativen Begegnung. Das ist dieses Feld, wo Wirklichkeit neugestaltet wird. Und ich versuche, mit einem Bewusstsein dabei zu sein, das dem anderen Wesen entspricht, sei es eine Gedankengestaltung, sei es eine erzieherische Arbeit, sei es ein berufliches Feld.

Durch solche Bezeichnungen kann man seine Erfahrungen machen, die dann wiederum formalisiert werden können: dass man zuerst Konzentration herstellt, also ein Verhältnis eingeht, das begrifflicher, überschaubarer Art ist, das auf Interesse basiert. Ein Verhältnis herstellt, das sich in einem nächsten Schritt weitet, wahrnehmend wird, aufnehmend wird, wo ich mich hörend an das andere wende, mich lauschend dem Inneren des anderen hinwende, sodass es sich aussprechen kann, was es ist, oder was es geworden ist, bevor wir uns kannten. In einem dritten Schritt geht es darum, dass sich eine Art sorgfältig gebaute Beziehung bilden kann – wechselseitig oder im Gespräch, wie auch immer man das nennen möchte. Eine Freundschaft, die dann eben für beide eine Verwandlung bedeutet, bei der ich nicht mehr derselbe bin und das andere auch nicht mehr dasselbe, freiwillig, weil man sich der Andersartigkeit des anderen ausgesetzt hat. Gegenwärtig beschäftigt mich diese Form, die man dann als Gastfreundschaft bezeichnen kann. Diese Suche nach einem Arbeiten oder Gestalten in der Wirklichkeit, das auf dieses Empfangen des Gastes beruht, aber auch umgekehrt, selber Fremder zu sein. Daran schließt sich die Frage: werde ich eingelassen, werde ich empfangen von der Welt? Darf ich der fremde Wanderer sein?

Robin Schmidt: „Es ist für mich persönlich ein Schreck, wie das, glaube ich, für die Menschheit ein Schreck ist, zu entdecken, dass wir Menschen für die Welt verantwortlich geworden sind. (…) Und dieser Schreck, der ist für mich persönlich ein maßgeblicher Ausgangspunkt für die Suche, ein meditatives Verhältnis zur Welt zu gewinnen, wo weder ich der Welt aufdrücke, wie ich sie verstehe, noch die Welt Herrschaft über mich ausübt.“

Bodo von Plato: Ich möchte noch erwähnen, dass in unserer meditativen Methodologie ein einfacher traditioneller Grundbau, der aber auch anhand der Erfahrung und Lehre über Meditation von Steiner gebildet ist, eine große Rolle spielt. Dieser Grundbau ist aus drei Elementen zusammengesetzt: der Konzentration, der Kontemplation und der Meditation. Diese drei zusammen konstituieren das Feld dessen, was man etwas unspezifischer als „Meditation“ bezeichnen kann.

Wir haben aber, treu der anthroposophischen Überlieferung und Anlage, ein viertes Element des Studiums oder des Beginnens, des Anfänglichen oder des Orientierens, des Fragens hinzugenommen.

Also, ein Ausgangspunkt ist die Kenntnis der Frage, des Rätsels, der Suche. Wenn dann irgendwann eine Fokussierung eintritt, eine Konzentration, dann beginnt hier das ganze Feld der Übung. Bis sich schließlich etwas eröffnet, was ich selbst sozusagen nicht in der Hand habe, sondern wo ich empfänglich werde. Diese Wirklichkeiten, die wir vorhin andeuteten, beginnen zu mir zu sprechen. Und in dem Maß, in dem dieses Gespräch tatsächlich real wird, ab da würde ich von Meditation sprechen.

Diese Grundanlage der vier Schritte haben wir vor allen Dingen aus einem der wunderbarsten Grundwerke Rudolf Steiners entnommen, „Die Schwelle der geistigen Welt“ (GA17), und dort aus dem ersten Aufsatz „Von dem Vertrauen, das man zu dem Denken haben kann und von dem Wesen der denkenden Seele vom Meditieren“. Die Arbeit daran war, glaube ich, für uns alle ganz wesentlich – immer wiederkehrend mit den Studenten und Teilnehmenden in sonstigen Kursen – bis wir alle merkten: Ja, da ist ein ganz fundamentales methodologisches Grundgerüst gebaut, eine Neubestimmung des Begriffs und der Praxis der Meditation. Es ist ein ganz kleiner Text von wenigen Seiten, unwahrscheinlich praktisch und zugleich reflektierend auf das, was eigentlich Meditation ausmacht.

Bodo von Plato: „Ein Ausgangspunkt (in unserer Meditations-Medthodik) ist die Kenntnis der Frage, des Rätsels, der Suche. Wenn dann irgendwann eine Fokussierung eintritt, eine Konzentration, dann beginnt hier das ganze Feld der Übung. Bis sich schließlich etwas eröffnet, was ich selbst sozusagen nicht in der Hand habe, sondern wo ich empfänglich werde. Diese Wirklichkeiten, die wir vorhin andeuteten, beginnen zu mir zu sprechen. Und in dem Maß, in dem dieses Gespräch tatsächlich real wird, ab da würde ich von Meditation sprechen.“
Sebastian Knust: Edda, wo liegt in diesem Zusammenhang Dein Vertiefungsgebiet? Wo hast Du einen tieferen Zugang  zu Wirklichkeitsschichten oder Dimensionen der Wirklichkeit erlangt, den man im Alltagsleben nicht unbedingt erhält?

Edda Nehmiz: Meine Frage, die ich schon als Kind hatte, lautet: „Was ist eigentlich der Mensch?“ In der Auseinandersetzung mit der Anthroposophie bekommt man ja viele Möglichkeiten, die Vielgestaltigkeit des menschlichen Wesens in die Anschauung zu bekommen. Ich glaube, dass sich diese Frage für mich nicht nur auf dem philosophischen Wege beantworten lässt, sondern vor allen Dingen durch die Beobachtung, die Erfahrungen des Lebens selbst, an denen man teilhat, weil sie zum eigenen Leben gehören, an denen man teilnimmt, weil man ganz nah an dem Leben anderer Menschen dran ist und sie begleitet. Diese Erfahrungen kann man in einen Zusammenhang bringen mit dem, was man in Steiners Werken finden kann.

Für mich ist also der Ausgangspunkt immer ein ganz lebenspraktischer, der aber natürlich, wenn man ihn ernst nimmt, in einen Bereich führt, der eben über den normalen Alltag hinausgeht. Das ist ein Bereich, in dem ich persönlich viel unterwegs bin, der aber dann auch wieder einen klaren Einfluss hat auf das, was wir hier am Goetheanum tun. Es ist, glaube ich, wichtig, dass wir in dieser Kollegenschaft sind, dass unsere verschiedenen Qualitäten dazu führen können, dass Menschen mit ganz unterschiedlicher Herkunft mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen und ganz unterschiedlichen Ansätzen hier einen Ort finden, wo sie sich selbst befähigen können, wo sie selbst ihr eigener Lehrer werden können.

Edda Nehmiz: „Es ist, glaube ich, wichtig, dass wir in dieser Kollegenschaft sind, dass unsere verschiedenen Qualitäten dazu führen können, dass Menschen mit ganz unterschiedlicher Herkunft mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen und ganz unterschiedlichen Ansätzen hier einen Ort finden, wo sie sich selbst befähigen können, wo sie selbst ihr eigener Lehrer werden können.“

Kurspraxis

Sebastian Knust: Was sind Eure Motive, wenn ihr Kurse gebt, wenn Ihr also „Lehrer“ seid, was ist Euch da wichtig und wertvoll?

Bodo von Plato: Ich glaube, dass die Lehre dialogisch ist. Ich gehe nicht davon aus, dass ich mein Gegenüber belehre. In der Begegnung von uns beiden ergibt sich eine Möglichkeit voranzugehen, sich zu entwickeln, neue Erkenntnisse zu entdecken. Trotzdem gibt es sehr unterschiedliche Erfahrungs- und Kenntnishorizonte. Alles das möchte berücksichtigt sein. Wir geben nie einen Kurs allein. Es gibt immer ein Kollegium. Es ist ebenfalls wichtig, dass immer jemand da ist, der auch künstlerisch arbeiten kann, malerisch, plastisch, vor allem eurythmisch. Letzteres ist eigentlich unser Hauptgebiet. Wir arbeiten eigentlich nicht mehr ohne eurythmische Begleitung, da es sich als derart fruchtbar und sinnvoll erweist.

Es ist auch zu erwähnen, dass wir unabhängig von den Kursen eine gemeinsame geistig-intellektuelle Beschäftigung haben. Deshalb ist es schade, dass Constanza Kaliks jetzt bei dem Gespräch nicht dabei sein kann, denn seit drei Jahren ist sie ganz wichtiger Bestandteil unserer gemeinsamen Arbeit. Und wir verfolgen eben auch, ganz unabhängig von den Kursen, gemeinsame Interessen in der Geschichte, in der Philosophie, in der Literatur, in der Dichtung, bildenden Kunst, in der Kulturgeschichte

Robin Schmidt: Für mich ist ein Ausgangspunkt die Überzeugung, dass anthroposophische Meditation und Anthroposophie nicht lehrbar sind. Ich halte sie nicht für lehrbar. Aber es gibt ein Mit-Sein, wo ein Funke entspringen kann, wo ich mich selbst aufwecke, vielleicht durch etwas, was jemand sagt oder durch eine Übung, die ich vollziehe. Dieses Aufwachen, Aufdämmern kann zu einem inneren Vermögen werden, was vielleicht noch nicht so bewusst ist oder das man noch nicht handhaben kann. Deswegen glaube ich, dass es sinnvoll ist, zusammen zu sein in dieser Frage, aber zugleich bin ich fest überzeugt: es ist nicht lehrbar. Es gibt keinen Gegenstand, der übermittelbar ist und in den ich jemand andern einführen kann.

Unter dieser Voraussetzung stehen diese Fragen: was kann man eigentlich gemeinsam machen? Wie kann die Freiheit des anderen mein Leitstern sein für die Frage nach einem Kursarrangement? Wie sieht das von der organisatorischen Seite aus? Wie sieht das von Sozialprozessen aus? Wie sieht das von künstlerischen Prozessen aus, vom Dialogischen, vom Lehrteil her, von Verstandes-Klarheit im Verhältnis zu Erlebnisräumen? Und wie gestaltet man das so, dass es eine Möglichkeit gibt einzutreten, zugleich aber niemand eintreten muss und daran dann Illusionen entstehen, die man ganz, ganz schwer nur wieder wegkriegt?

Sebastian Knust: Edda, wie hilfst Du dabei, diesen Freiraum herzustellen? Wie reagieren eigentlich die Teilnehmer auf das Angebot des Freiraums?

Edda Nehmiz: Wir wollen durch die Anlage der Kurse ermöglichen, dass der Mensch fähig wird, eine Urteilskraft in sich zu finden, die nicht aus einer schematischen Ableitung kommt, die man sich irgendwie vermitteln lässt, sondern durch eine Fähigkeit, mit diesen Unwägbarkeiten des Lebens einen solchen Umgang zu finden, dass man in sich eine Stärkung hat, die es einem erlaubt es jetzt so zu entscheiden und dann anders.

Robin Schmidt: „Wie kann die Freiheit des anderen mein Leitstern sein für die Frage nach einem Kursarrangement?“

Übungen, Meditation und Freiraum

Sebastian Knust: Gibt es da Methoden, Übungen oder auch Meditationen, die dazu befähigen, diesen Freiraum in mir selbst aufzusuchen, oder erlebbar zu machen?

Bodo von Plato: Ich würde gerne zur Frage der Übung noch eine Unterscheidung einführen: dass nämlich Meditation, meiner Überzeugung nach, immer und ausschließlich ein individueller Akt ist. Ich bin in der Meditation zunächst einmal einsam. Meditation hat aber auch eine menschheitliche Dimension, die weit über mein persönliches Vollziehen hinausgeht. Und drittens: Meditation tendiert dahin, ein freundschaftlicher Akt zu sein. Das heißt, die spirituelle Freundschaft, die wir zueinander haben, ist wichtig. Das ist ein Ferment für so eine Gruppe, man merkt sofort, dass wir frei, vertrauensvoll, mit Respekt und auch direkt miteinander umgehen, mit einer gewissen Normalität und Heiterkeit. Und das sind Stimmungen des Freundschaftlichen, die da mitspielen.

Konkret machen wir ganz einfache Übungen, zum Beispiel aus dem klassischen Kanon der anthroposophischen Tradition die sechs „Nebenübungen“, bei denen Grundeigenschaften der seelischen Konfiguration geschult werden, wie Konzentration, Ausgleich im Gefühlsleben, Kräftigung des Willens- oder Initiativlebens, Positivität, Unbefangenheit. Wir schildern diese Übungen, aber dann regen wir auch an, sie zusammen zu praktizieren, Erfahrungen zu sammeln und uns auszutauschen: Wo sind Schwierigkeiten?

Meditation machen wir nie zusammen. Es bleibt dieser Freiraum. Da mag man eintreten, oder mag man nicht eintreten. Das möchten wir nicht erzwingen oder zu nahelegen, das muss jedem überlassen bleiben.

Rudolf Steiner beschreibt in „Die Schwelle der geistigen Welt“ und dort im ersten Aufsatz „Von dem Vertrauen, das man zu dem Denken haben kann und von dem Wesen der denkenden Seele vom Meditieren“ einen Erfahrungshorizont im Umgang mit den Gedanken, wie der Gedanke mit der Empfindung zusammenhängt und wie Empfindung und Gedanke beide mit der Welt zusammenhängen. Er formuliert das schließlich zum Meditationssatz: „Denkend empfinde ich mich eins mit dem Strom des Weltgeschehens“. Das ist zum Beispiel eine Inszenierung, die wir gemeinsam mit Kursteilnehmern gelegentlich machen und dann bis zu diesem Meditationssatz kommen. Mit diesem Satz arbeiten wir und versuchen so, eine Meditation so gut wie möglich vorzubereiten.

Wir schalten gerne einen Moment ein, in dem wir uns auf diese und jene Dinge besinnen – fünf Minuten der Ruhe, dann Dialoge zwischen Einzelnen, oder die Ergebnisse kurz in die Runde tragen – eben normale Techniken, die man heute überall beherrscht. Aber die Meditation selbst bleibt Sanktuarium des Einzelnen. Während die Übung gerne in der Gemeinschaft besprochen und evaluiert werden kann.

Bodo von Plato: „Steiner beschreibt (…) einen Erfahrungshorizont im Umgang mit den Gedanken, wie der Gedanke mit der Empfindung zusammenhängt und wie Empfindung und Gedanke beide mit der Welt zusammenhängen. Er formuliert das schließlich zum Meditationssatz: „Denkend empfinde ich mich eins mit dem Strom des Weltgeschehens“. Das ist zum Beispiel eine Inszenierung, die wir gemeinsam mit Kursteilnehmern gelegentlich machen und dann bis zu diesem Meditationssatz kommen.“
Sebastian Knust: Robin, hast Du noch etwas hinzuzufügen?

Robin Schmidt: Als Hintergrund und Inspiration ist für uns die von Rudolf Steiner gegründete „Freie Hochschule für Geisteswissenschaft“ maßgeblich. Die Art der Meditation, die in der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft angeregt wird, das Verhältnis zum Anderen, wie es sich dort entwickeln kann, das ist massgeblich für die genannten Qualitäten unserer Arbeit geworden. Die Kurse finden vor diesem Hintergrund statt, wo wir alle unterwegs sind…

Bodo von Plato: …Und von dem wir auch oft erzählen. In den öffentlichen Kursen, die zum Beispiel unter den Themen: „Innere Kultur“ oder „Meditative Praxis“ oder „Einführung oder Vertiefung der Anthroposophie“ ankündigen, gehen wir selbstverständlich damit ganz offen um. Wir beschreiben die Natur der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft – im Gründungszusammenhang, im gegenwärtigen Arbeits- und Entwicklungsort hier am Goetheanum und in der Welt. Es ist ein wichtiger Hintergrund, der nicht verborgen bleibt, in den aber auch nicht unsachgemäß eingeführt wird. Bedingungen, Zugangsbedingungen, usw., das lernt man meistens ganz natürlich kennen.

Robin Schmidt: „Als Hintergrund und Inspiration ist für uns die von Rudolf Steiner gegründete ,Freie Hochschule für Geisteswissenschaft´ maßgeblich.“

Zukunftsfragen

Sebastian Knust: Ihr steht auch in einem größeren Zusammenhang,  dem Netzwerk „Meditation Worldwide“, aus dem auch die Tagung „Living Connections“ im Juni 2017 hervorging. Damit verbunden: was wünscht Ihr Euch für die Zukunft, wo soll es weitergehen? Was für Potenziale seht Ihr in der anthroposophischen Meditation?

Robin Schmidt: Ja, also die Frage beschäftigt uns schon seit über zehn Jahren in diesem Initiativzusammenhang. Ich weiß gar nicht, wie ich es richtig formulieren soll, aber dass man anthroposophische Meditation so separiert und artikuliert in die Welt stellt, halte ich eigentlich nicht für sachgemäß – obwohl ich es für richtig halte, dass es mal geschieht. Aber im Grunde genommen ist dies nicht der anthroposophischen Meditation entsprechend, weil sie im Lebenszusammenhang steht, weil sie im fachlichen Zusammenhang steht, weil sie, gar nichts Besonderes sein will, sondern das Leben, das sich tätig ergreift. Und da ist es eigentlich etwas Künstliches, dass man eine Tagung macht „anthroposophische Meditation“ und dann dieses Thema organisiert und ein Netzwerk aufbaut. Obwohl, ich es richtig finde, dass es geschieht, historisch bedingt, weil es so tabuisiert wurde und es keinen Platz hatte. Als Feld des Forschens und des Fragens und der Erfahrungsbildung hat es nicht stattfinden können. Wir holen das gewissermaßen nach – 100 Jahre im Galopp. Aber an sich, finde ich es nicht richtig.

Und da ist für mich vielleicht auch gleich ein Stück Zukunft ausgedrückt. Nämlich die Frage, nachdem das Thema anthroposophische Meditation jetzt so identifiziert ist und auch Publikationen, Kolloquien, Tagungen, Forschungsgruppen, Netzwerke weltweit vorhanden sind: wie gliedert sich das ins Leben ein? Wie organisiert man, dass dies noch mehr ins Leben reinkommt? Wie kann man den Ansatz der Anthroposophie wiederentdecken, der eigentlich im Leben ist und aus dem Leben kommt?

Robin Schmidt: „…dass man anthroposophische Meditation so separiert und artikuliert in die Welt stellt, halte ich eigentlich nicht für sachgemäß - obwohl ich es für richtig halte, dass es mal geschieht. Aber im Grunde genommen ist dies nicht der anthroposophischen Meditation entsprechend, weil sie im Lebenszusammenhang steht, weil sie im fachlichen Zusammenhang steht, weil sie, gar nichts Besonderes sein will, sondern das Leben, das sich tätig ergreift.“

Bodo von Plato: In meinen Augen hat sich die Wirksamkeit des Geistes in den letzten, sagen wir mal 100 Jahren, fundamental verändert. Wir sind mitten in der Veränderung drin. Um sie ganz einfach und schematisch zu beschreiben: Geist differenzierte früher und heute integriert, vereinigt Geist. Das heißt, alles, was wir haben als Individuell-Werden und Eigen-Werden und Unvergleichlich-Werden, alles das ist differenzierende Wirksamkeit des Geistigen, die bis dahin führt, dass wir unterschiedliche Religionen haben und unterschiedliche philosophische Systeme und auch innerhalb der Anthroposophie ganz unterschiedliche Auffassungsrichtungen, die ja auch historisch häufig gegeneinander agierten, zum Teil heute noch.

Und ich glaube, der Geist, der heute begonnen hat, zu wirken und der die Zukunft mehr und mehr prägen wird, meines Erachtens, der hat eine gegenteilige Tendenz. Er umfasst, er bezieht ein, er schaut mehr auf das Ganze, die unterschiedlichen Eigenheiten, die erst gemeinsam ein sinnvolles Ganzes ausmachen. Und das trifft gerade für die anthroposophische Lebenshaltung oder Welt- und Menschenverständnis zu, dass sie eigentlich selbst keine Weltanschauung ist, aber ihr die Kraft innewohnt, die unterschiedlichen Weltanschauungen differenziert zu verbinden. Und das ist, glaube ich, auch gerade der anthroposophischen Meditationspraxis eigen. Und deshalb ist es so widersinnig, von anthroposophischer Meditationspraxis zu reden und doch müssen wir es tun, um sie einmal im Verhältnis zu anderen Traditionen sehen zu können.

Ich glaube, überhaupt gesondert von Spiritualität zu reden, wird in Zukunft nicht so einfach sein, weil sie so zu einem Extrafeld wird, in dem ich dann die spirituelle Seite meines Daseins anschaue und dabei vergesse, dass sie immer durchwoben war mit meiner leiblichen Seite, mit meiner seelischen Seite.

Wir werden ein Interdisziplinäres, Interfakultatives, Intermenschliches zu entwickeln haben. Ich glaube, dass da sehr viel Potential in der Anthroposophie des 21. Jahrhunderts liegt, weniger in der, wie sie sich im 20. Jahrhundert ausgestaltete. Da wird sich Anthroposophie nicht mehr so sehr absetzen von anderen Geistesbewegungen oder sozialen Bestrebungen, sondern wird einfach integrativ wirken und ob es jetzt dieses oder jenes Etikett trägt, wird von sekundärer Bedeutung sein.

Sebastian Knust: Vielen Dank, ich denke, das war ein schönes und aufschlussreiches Ende. Ich bedanke mich herzlich bei Euch für das Interview!

Bodo von Plato: Danke dir für deine Fragen und überhaupt für dein Interesse und dein ganzes Unternehmen, das alles hier zusammenzutragen. Im Grunde tust du ja schon das, was wir gerade so ein bisschen besprochen haben.

Sebastian Knust: Ja, ich hoffe tatsächlich, in diesem Sinne einen Beitrag leisten zu können.

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